Nahe der Mine Bravo-2 – T minus 64 h
Die Landedüsen verstummten mit einem flüsternden Fauchen, als ich den Gleiter auf einer kleinen Lichtung absetzte.
„Na gut … Abmarsch.“ flüsterte Keine Angst mit rauer Stimme. Die Ringe unter den Augen des Captains waren dunkler als der nächtliche Himmel – ich fragte mich, was für Pillen die MOD ihm wohl verpasst hatten.
„Übrigens … ich lege nicht viel Wert auf Förmlichkeiten. Ihr könnt mich Cap nennen, oder Keine Angst, oder KA falls euch das zu lang ist.“
„Ich bin Ole.“ antwortete ich knapp, während ich die Systeme des Fluggeräts herunterfuhr.
„Einfach nur BB.“ meinte Private Brother, und blickte auffordernd zu Mr. Larusco.
„Oh, also …“ Larusco schien sich in seinem Kampfanzug nicht besonders wohl zu fühlen, und schluckte eine rosafarbene Pille herunter. „Ihr könnt mich ruhig Larusco rufen … machen alle … aber ich habe natürlich auch einen richtigen Vornamen – Jekyll. Jekyll Larusco.“
„Jekyll Larusco – klingt doch gut.“ Ich schlug ihm kameradschaftlich auf die Schulter und sah zu Dr. Blackwife hinüber. „Und …?“
Sie lächelte mich zuckersüß an. „Doktor, Lieutenant. Für Sie bin ich Doktor Blackwife.“
„Ups. Abfuhr.“ murmelte ich. Das breite Grinsen von BB ignorierend, blickte ich unauffällig zur Doktorin hinüber. Sie sah atemberaubend aus. Ihr enganliegender schwarzer Kampfanzug aus Lederimitat - offensichtlich eine Spezialanfertigung – wurde von hochhackigen Lederstiefeln ergänzt. Warum die Anzugsdesigner sich für ein aufreizendes Dekolleté entschieden hatten, entzog sich meinem militärischen Verstand, aber ich beschloss, eine entsprechende Eingabe an das Beschaffungsamt auf unbestimmt Zeit zu verschieben.
Wir verließen den Gleiter und legten ein Tarnnetz darüber, dann marschierte unser Trupp etwa zwei Kilometer weit in die Richtung des Notschachts, den BB während des Fluges als bestes Einstiegsziel in die Mine angegeben hatte.
„Die Hauptgänge können wir natürlich nicht nehmen, wenn wir unbemerkt bleiben wollen.“ erläuterte der breitschultrige Private. „Es gibt zum Glück jede Menge verlassene Nebengänge und Notschächte … nur rund ein Drittel der Mine wird tatsächlich genutzt. Wir werden aber einige Umwege machen müssen, um bestimmte Knotenpunkte zu umgehen. Und die Notschächte haben natürlich auch keine Aufzüge, wird also eine ziemliche Kletterei. Immerhin erstreckt sich die Mine in bis zu über zweitausend Meter Tiefe.“
Wir hatten natürlich eine digitale 3D-Karte der Minen; aber BB hatte nur den Kopf geschüttelt und angemerkt, dass mindestens ein Viertel der Anlage darauf fehlen würde … eben genau die uralten, verlassenen Stollen, die wir benutzen würden. Endlich erreichten wir eine hinter Buschwerk verborgene, halb eingerostete Luke. Blackwife richtete einen Scanner darauf. „Rein mechanisch … keine elektronischen Elemente … Gott, wie alt ist das Ding?“
„Etwa 250 Jahre, schätze ich.“ antwortete BB, während er die Luke aufstemmte. „Stammt noch aus der Frühzeit der Besiedlung … das hier war eine der ersten Theramid-Minen auf Midor. Sie wurde damals großteils mit billiger, rein mechanischer Ausstattung aufgebaut. So, das hätten wir.“ Die Luke öffnete sich quietschend und enthüllte den Blick auf einen finsteren, engen Schacht, in dem metallene Sprossen eingelassen waren.
Einer nach dem anderen kletterten wir hinab. Sprosse nach Sprosse nach Sprosse, hinab in die Finsternis. Das Metall unter meinen Händen war kalt und voll rostigem Schorf; ein eisiger Luftzug von oben strich über mein Gesicht. Endlich, nach rund einhundert Metern, endete der Schacht. Ich reckte mich und rieb die schmerzenden Schultern. Links und rechts erstreckten sich die unbeleuchteten alten Stollen, gerade hoch genug dass ich aufrecht stehen konnte. Unsere Helmlampen enthüllten Pfeiler aus bröckelndem Beton, die etwa alle 10 Meter den Gang abstützten.
Dr. Blackwife und Larusco hantierten an ihrem Gerät und warfen sich kryptische Fachbegriffe an den Kopf.
„Keine Ortung.“ sagte Blackwife schließlich. „Wir müssen tiefer hinein.“
„Links geht es zu den Hauptgängen; wir nehmen den Umweg rechts entlang.“ erläuterte Brother kurz.
Captain Fheare grunzte zustimmend und bedeutete Brother und mir, voraus zu gehen. Schweigend folgten wir dem Stollen, passierten einige Kreuzungen. Ich fingerte nervös an meiner Gamma herum. Die Dunkelheit, die Enge der Stollen ... ich meinte, die uralten Pfeiler unter dem Gewicht tausender Tonnen Erdreich über uns knirschen und ächzen zu hören. Unauffällig blickte ich mich zu Dr. Blackwife um, die direkt hinter mir ging. War das ihr MonChanel No. 7, dessen Dufthauch ich roch?
Mein Fuß stieß auf etwas Metallisches, und ich konnte gerade noch ein Stolpern vermeiden. „Was zum Teufel …“ ich richtete meine Lampe nach unten, und erblickte zwei parallel verlaufende metallene Stränge.
„Schienen?“ frage ich entgeistert. „Sind das etwa Schienen?“
BB grinste breit. „Hab doch gesagt, einige der Stollen sind richtig alt.“
Wir folgten den rostigen Gleisen, fanden nach einiger Zeit zwei alte Loren mit primitiven Elektromotoren. Schließlich endete der Stollen – ein Lattenkreuz aus verrottendem Holz sperrte den Durchgang, und dahinter befand sich ein Abgrund – offenbar eine natürliche Erdspalte, die weiter in die Tiefe reichte als unsere Lampen.
Ich schüttelte den Kopf. „Schienen … Loren … unterirdische Abgründe … kommt mir vor wie aus einem billigen alten Abenteuerfilm.“
Wir gingen ein Stück zurück und folgten dem nächsten Nebenstollen.
*****
Die kommenden Stunden waren erschöpfend. Wir folgten Stollen um Stollen, kletterten durch Notschächte auf- und wieder abwärts. In regelmäßigen Abständen nahmen die Wissenschaftler mit ihrem Wunderding Messungen vor – ohne Ergebnis. Viermal machten wir Halt, ruhten uns aus, nahmen ein paar Schluck aus den Wasserflaschen und kauten an unseren Nahrungskonzentratriegeln herum. Wir wurden zunehmend gereizter – Larusco schluckte seine Pillen, Dr. Blackwife giftete Larusco an, Keine Angst nahm immer öfter einen Schluck aus seinem Flachmann … nur B. Brother schien unbeeindruckt.
„Da!“ rief Larusco plötzlich aus. „Doktor, schauen Sie … dieser Ausschlag! Wir haben einen!“
Ich beugte mich interessiert zu den beiden, warf einen kurzen Blick in den Ausschnitt von Dr. Blackwife, und sah mir die Skalen und Anzeigen des Wundergeräts an. Doch außer einigen bunten, sich hin- und herschlängelnden Linien sowie wüsten Zahlen-Buchstaben-Kombinationen war nichts zu erkennen.
„Tatsächlich!“ Blackwife runzelte die Stirn und zeigte auf eine lilafarbene Kurve. „Aber solche Werte habe ich noch nie gesehen. Hmmm … eindeutig A.I.-Technologie … aber die Signatur gehört zu keinem von uns erforschten Typus.“ Sie hob den Arm und kratzte sich am Ohr, was ihr Dekolleté auf’s Entzückendste in Bewegung brachte …
*ditsch*
Zwei eisgraue Augen tauchten direkt vor meinen auf, wütend funkelnd. „Haben Sie nichts zu tun, Lieutenant?“
Ich zog mich diskret etwas zurück und stellte mich neben Brother, der mich breit angrinste.
„Hat’n netten Schwinger, unser Doc, was? Wusstest du, dass sie Captain der Reserve ist? B-4 Scharfschützenausbildung. Ein Kumpel von mir war auf der Hochzeit, als sie neulich Major Steiner geheiratet hat.“
„Geheiratet? Die?“ ich starrte BB verblüfft an.
„Genau … und zwar DEN Major Steiner – den vom SEK.“
Captain Fheare besprach sich kurz mit Blackwife und Larusco, nahm einen Schluck aus seinem Flachmann und winkte uns dann heran. „Abmarsch! BB – wie kommen wir nach Sektion III-1-Alpha?“
„Zu Fuß, Cap.“ antwortete der Private trocken. „Folgt mir, wir müssen dort nach links und dann wieder durch die Notschächte nach unten …“
Durch abgelegene Nebenkorridore und das chaotische Notschachtsystem näherten wir uns langsam dem Zielgebiet. Die direkte Entfernung waren zwar nur 450 Meter, aber auf unseren Schleichwegen brauchten wir trotzdem über zwei Stunden. Blackwife war besorgt, aber wie es aussah bewegte sich dieser A.I.-Roboter nicht von der Stelle.
BB brachte uns mit einem Handzeichen zum Stehen.
„Okay, diese Sektion wurde vor 10 Jahren aufgegeben. Nicht mehr profitabel.“ flüsterte er.
Fheare grunzte. „Ideales Versteck für die Blecheimer, also. Doc?“
Blackwife drehte an ein paar Knöpfen. „Es hat seine Position weiter gehalten. 50 Meter, Höhe stimmt, auf 270 Grad.“
Brother nickte. „Ja, das passt. Dort runter macht der Gang einen Knick – unmittelbar hinter Biegung muss es sein.“
„Dann los.“
Vorsichtig schlichen wir den nur von spärlichen Notleuchten halb erhellten Korridor entlang; Captain Fheare und ich voran, kurz dahinter BB, und mit etwas Abstand die beiden Wissenschaftler. Die Biegung – aus unerfindlichem Grund machte der Stollen tatsächlich einen Knick von 90 Grad – kam näher.
Der Captain gab mir Handzeichen. Laut dem Ortergerät musste der Roboter kaum drei Meter hinter dem Knick stehen. Ich atmete tief durch; das vertraute Flattern im Bauch stellte sich wieder ein. Fheare hob drei Finger, zwei, einen … dann wirbelte ich, die Gamma im Anschlag, um die Biegung herum und sah vor mir …
Nichts. Einen leeren, notdürftig erleuchteten Stollen, der sich mindestens 30 Meter schnurgerade vorwärts erstreckte.
Frustriert schob ich das Helmvisier hoch. „Doc, Ihr Orter ist für’n Arsch. Hier ist absolut gar …“
Ein silbernes Flirren. Etwas prallte heftig gegen meine Schulter, ließ mich taumeln. Instinktiv griff ich mit der rechten Hand zu, bekam etwas zu fassen … kalte, metallische Dornen bohrten sich in den Stoff meiner Handschuhe; es ruckte, riss meine Hand mit sich vor, zurück. Ich hielt eisern fest. Dann tauchte direkt vor meinem Gesicht eine daumennagelgroße Schneide auf, die tausendfach rotierend auf mein linkes Auge zusirrte …
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